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Vom Freien Radio zum Podcast-Kollektiv

Text von Joël Adami, Radio ARA, Luxemburg, Referent des Workshops

Podcasts erfreuen sich – wieder – steigender Beliebtheit. Von ausuferenden Gesprächsrunden, die sich nicht einmal Freie Radios zu senden trauen würden, über Dokus bis hin zu fiktionalen Formaten ist alles dabei.In diesem Workshop haben wir gemeinsam überlegt, welche Lehren Freie Radios aus dem Podcasting-Hype ziehen können und wie die Zukunft von Freien Radios als Podcast-Manufakturen aussehen könnte. Außerdem haben wir einen kurzen Blick auf die wichtigsten Tools und Tipps zur Verbreitung von Podcasts geworfen.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde begann der Workshop mit folgendem Zitat:

very much a horizontal media form – producers are consumers, consumers may become producers, and both can engage in conversations with each other”

Eine sehr horizontale Medienform – Produzent_innen sind Konsument_innen, Konsument_innen können Produzent_innen werden und beide können miteinander reden”

Diese Beschreibung passt sehr gut auf (vieles von) Freien Radios, bezieht sich im Original aber auf Podcasts. Damit präsentierte ich auch meine grundlegende These: Vieles von dem, was Podcasts ausmacht, trifft auch auf Produktionen Freier Radios zu. Anschließend haben wir gemeinsam die Eigenschaften von Podcasts herausgearbeitet und sind draufgekommen, dass die Podcasting-Welt sehr unterschiedlich ist, grundsätzlich jedoch einige Merkmale allen gemein sind:

  • Es handelt sich um Audio-Inhalte

  • Es sind nicht-lineare Inhalte, also kein Livestream, sondern Audiodateien, die „on demand“ konsumiert werden können

  • Dazu gibt es meistens eine Abo-Funktion, also einen Feed (RSS)

  • Der Inhalt ist oft sehr spezialisiert und behandelt „Nischenthemen“

  • Es gibt sehr oft eine starke Bindung zu den Hörer_innen

Anschließend haben wir uns den aktuellen Podcasting-Hype angesehen. Auf Apple Podcasts (die ausgelagerte Podcasting-App von Apple, hieß früher „iTunes“) beinhaltet über 500.000 aktive Podcasts in über 100 Sprachen, in den USA sind laut Studien die Hälfte der Haushalte „Podcast-Fans“. Die ARD-ZDF-Onlinestudie hat herausgefunden, dass 3,8 Prozent der deutschen Bevölkerung wöchentlich Podcasts hören, bei den 14-29-Jährigen sind es 10,2 Prozent. Und zumindest selten hören 13 Prozent Podcasts, bei jungen Menschen sogar 27 Prozent.

Woher kommt dieser Hype nun? Früher mussten Podcasts recht umständlich via Kabel auf den mp3-Player geladen werden (daher auch der Name: iPod + Broadcasting ? Podcast), heute geht das super einfach mit einer entsprechenden App auf dem Smartphone. Auch viele neue Autoradios oder SmartTV haben eine solche Funktion, so dass überall Podcasts „empfangen“ werden können. Außerdem sind viele neue Formate entwickelt worden, die unterschiedliche Geschmäcker treffen und nicht mehr dem „Jemand redet mit seinen Freund_innen stundenlang in der Küche über Gott und die Welt“-Klischee entsprechen. Ein sehr erfolgreiches Beispiel ist beispielsweise der True Crime-Podcast „Serial“, der echten Kriminalfälle auf den Grund geht und für eine neue Art von Podcasts steht.

Anschließend haben wir uns einige Hörbeispiele interessanter Podcasts zur Gemüte geführt. Da die Zeit in dem halbstündigen Workshop dann doch knapp wurde, führe ich hier mehr an, als wir hören konnten:

  • 99 % invisible unglaublich gut gemachtes Storytelling über Architektur und Design

  • abcoholics Gesprächspodcast, der immer ein Überthema hat und dabei in alphabetischer Reihenfolge vorgeht (Erste Folge A, zweite Folge B, usw.)

  • Benjamen Walker‘s Theory of Everything Geschichten über Fake News, wobei der Wahrheitsgehalt des Podcasts selbst in Frage gestellt wird. Klingt schräger als es ist.

  • Caliphate Podcast der New York Times über den IS/Daesh

  • CRE Interviewpodcast, bei dem auch schon mal drei Stunden über Brot geredet wird

  • das tägliche Wort Jeden Tag ein schönes, bemerkenswertes oder seltsames Wort.

  • Decoder Ring noch sehr junger Podcast über popkulturelle Phänomene wie das eingespielte Lachen in Sitcoms

  • Dunkle Heimat True Crime-Podcast aus Bayern

  • heiter scheitern Queerer Gesprächspodcast

  • Les couilles sur la table frz. Podcast über Männlichkeit(en)

  • npr politics podcast Politik-Podcast des öffentlichen Rundfunks in den USA über US-Politik

  • reply all Podcast über Netzphänomene, der tief geht ohne langweilig oder zu techniklastig zu werden

  • Welcome to night vale Fiktionaler Podcast, aus der Sicht eines Lokalsenders in einem sehr merkwürdigen Ort (inklusive Aliens, Drachen und intelligente Wolken)

  • The West Wing Weekly Jede Woche wird eine Folge der Serie „The West Wing“ mit einem der Schauspieler besprochen

Nach einigen Hörbeispielen haben wir darüber gesprochen, welche Möglichkeiten Freie Radios haben, mit Podcasts bekannter zu werden. Einerseits sind Podcasts für einige Freie Radio-Formate einfach ein weiterer Distributionskanal – je nach Rechtelage bezieht sich das allerdings nur auf Wortbeiträge, weil Radiosendungen mit Musik vor allem in Deutschland nur wenige Tage online sein dürfen.

Außerdem ist Live-Radio sowohl für die Machenden als auch die Hörenden immer noch ein spezielles Erlebnis, das nicht einfach wegen einem Podcast-Hype abgeschaltet werden sollte. Eine Gefahr, die am mittel- bis langfristigen Horizont wartet, ist die Abschaltung von Analogradio zugunsten von Digitalradio. Dies könnte für Freie Radios nämlich unleistbar sein – dann wären Podcast vielleicht der einzige Weg, um weiterhin „senden“ zu können.

Wir haben auch über die Rolle von freie-radios.net geredet. Die Plattform wurde zum Sendungsaustausch beworben, bietet aber auch die Möglichkeit, sich selbstständig Podcasts (zB. Alle Interviews zu einem bestimmten Thema) zusammenzustellen und diese zu abonnieren. Das Design ist allerdings etwas in die Jahre gekommen und lädt Menschen, die sich nicht mit freien Radios auskennen, nicht unbedingt dazu ein, sich mit den Inhalten zu beschäftigen.

Ein Problem für die Podcastisierung Freier Radios, das wir im Workshop angesprochen haben, ist der zusätzlich Aufwand. Während bei „echten“ Podcasts die Hörenden direkt angesprochen werden, immer die gleichen Menschen moderieren und so ein Wiedererkennungswert entsteht, der bei Freien Radios nicht unbedingt vorhanden ist. Eine niederschwellige Lösung könnte sein, ein Intro und Outro aufzunehmen („Ihr hört eine Produktion von Freies Radio Hintertupfing, mehr Infos unter …“). Natürlich braucht jede zusätzliche Bearbeitung Zeit und (ehrenamtliche) Arbeit, die dann für andere Dinge fehlt. Hinzu kommt noch die Bewerbung auf social media, die ebenfalls viel Zeit kosten kann.

Eventuell könnte das Problem auch andersrum „gelöst“ werden: Nicht mehr in Sendungen denken, sondern tatsächlich in Podcasts/Serien, die eben auch im Freien Radio gesendet werden. Eventuell könnten auch gute Podcaster_innen aus der Umgebung angesprochen werden, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Immerhin kennen wir als Freie Radios uns ausgezeichnet mit Tontechnik, Schnitt, usw. aus und haben professionelle Studios!

Im Anschluss haben wir noch ein wenig über Tools gesprochen, die zur Verbreitung bzw. Erstellung von Podcasts helfen können. Eigentlich reicht das altbewährte Audacity und ein WordPress-Blog. Als Plugin habe ich podlove empfohlen, das zusammen mit WordPress ein Rundumsorglos-Paket für Podcasts anbietet. Auch Soundcloud hat sich als Verbreitungsplattform etabliert. Sparemin ist eine interessante Möglichkeit, Audio-Inhalte auf social media als Videos zu verbreiten – diese werden nämlich z.B. von Facebook bevorzugt behandelt.

Zum Schluss haben wir noch über Podcast-Verzeichnisse geredet. Um dort gefunden zu werden, muss der Podcast erst einmal eingetragen werden. Auf diese Verzeichnisse greifen nämlich auch viele andere Smartphone-Apps zu – will man von denen gefunden werden, führt eigentlich kein Weg an Apple Podcasts, Google Play Music, Stitcher, TuneIn, usw. vorbei. Zum Glück gibt es unter diesem Link Anleitungen für die bekanntesten Podcast-Verzeichnisse. Für Soundcloud-Nutzer_innen gibt es unter diesem Link eine eigene Anleitung.